Die Notwendigkeit der Kritik an der bürgerlichen Wissenschaft für neue Perspektiven der Studierenden­­­bewegung­

Christian Jooß, Mitglied im Wissenschaftlicher Beirat der Offenen Akademie 22.10.23

Impulsbeitrag auf dem bundesweiten Vorbereitungstreffen am 22.10. des Studierendenpolitischen Ratschlags (wurde nicht vollständig vorgetragen):

Liebe Studierende, liebe Kolleginnen und Kollegen,

derzeit strömen wieder hunderttausende von jungen Leuten an die Uni’s, um ein Studium anzufangen. Viele haben die Vorstellung bzw. den Wunsch, mit ihrer Ausbildung etwas zur Lösung der großen Menschheitsfragen beitragen zu können: Überwindung von Hunger, Armut, Kriegen und Umweltzerstörung.

Doch die an der Hochschule gelehrte bürgerliche Wissenschaft bietet dafür wenig Lösungen. Vielmehr ist sie ein Haupteinfallstor, sich im Studium geistig dem Systemerhalt des Kapitalismus unterzuordnen und damit wissenschaftlich fundierte Perspektiven zu unterminieren.

Wie funktioniert das? Beispielsweise haben viele den Wunsch in der Umweltforschung oder als Ingenieur/in etwas dazu beizutragen, die begonnene Umweltkatastrophe zu stoppen. Doch ihr werdet feststellen, dass in den bürgerlichen Lehrinhalten die allseitige Zerstörung der Biosphäre durch das heutige kapitalistische Weltsystem auf einzelne Seiten, wie das Klima reduziert wird. Die begonnene Klimakatastrophe wird zudem noch verharmlosend als Klimawandel bezeichnet. Die herrschende bürgerliche Ideologie an den Hochschulen anerkennt unter der ideologischen Leitlinie des Positivismus nur einzelne Erscheinungen als wirklich, was so den Gesamtzusammenhang zum kapitalistischen Gesellschaftssystem ausblendet. Das führte zu einer Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft, wodurch ihr wissenschaftlicher Charakter zunehmend untergraben wird, trotz aller Fortschritte im Einzelnen.

Dass viele Lösungen, wie fortschrittliche ökologische Technologien, Wasserstofferzeugung mit Sonnenenergie oder bioinspirierte Materialien nicht gesamtgesellschaftlich zum Einsatz kommen, hat mit der allseitigen Diktatur internationaler Monopole und Finanzkapitalisten über die ganze Welt zu tun. Das soll unter der Leitlinie der angeblichen Neutralität der Wissenschaft ausgeblendet werden. Neutralität der Wissenschaft bzw. der Hochschulen zu behaupten ist ein Kampfmittel von oben gegen eine dialektisch-materialistische, allseitige Grundlage der Wissenschaft, was stets die fundierte Gesellschaftskritik mit einschließen müsste. Doch die Ausbildung an den kapitalistischen Hochschulen zielt auf Fachidioten als Systemträger.

Überhaupt um gegen das grassierende Spezialistentum in der Ausbildung mit über 20.000 Studiengängen als das Leitbild der kapitalistischen Hochschulausbildung eine höhere Stufe der Wissenschaft entgegen zu setzen, da bräuchte es Ausbildung und Training in der dialektischen Methode, Kenntnisse des dialektischen Materialismus als weltanschauliche Grundlage, um eine durchaus auch notwendige Spezialisierung wieder aufzuheben in einer höheren Form der Zusammenfassung, Arbeitsteilung und Zentralisierung. Das wird es aber in der kapitalistischen Gesellschaft grundsätzlich nicht geben.

Es braucht eine Diskussion über einen neuen Anlauf für den Sozialismus, mit der Möglichkeit, auch die Wissenschaft von den heutigen Fesseln zu befreien und die Krise der bürgerlichen Wissenschaft, die an den Hochschulen gelehrt wird zu überwinden. In einem aktuellen Buch von Stefan Engel, Leiter der Redaktion Revolutionärer Weg zur „Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft“ heißt es:

»Gegenüber der herrschenden bürgerlichen Ideologie hat sich überall auf der Welt in den letzten Jahren ein kritischer Geist entfaltet, kaum jedoch noch gegenüber den Naturwissenschaftlern! (Anmerkung: Das gilt auch für andere Wissenschaftszweige!)

Die Rolle von Naturwissenschaft und Technik ist im Alltag der Gesellschaft deutlich gewachsen. Schulen und Universitäten, aber auch Literatur, Filme, Wissenschaftsmagazine, etc. verbreiten zuweilen wertvolle und durchaus materialistische Informationen über wissenschaftliche oder technische Entwicklungen. Allerdings trüben allerlei idealistische und metaphysische Deutungen, unwissenschaftliche Begriffe und systemkonforme Handlungsanleitungen ihren Wahrheitsgehalt.«

Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft, S. 78

Und so ist es auch auffällig, dass die ganze Vielfalt an Veranstaltungen der alternativen O-Phase, mit denen die Erstsemester z.B. hier in Göttingen begrüßt werden, kaum die Lehrinhalte und die Kritik an der bürgerlichen Ideologie zum Thema haben. Die wachsende Kapitalismuskritik kann sich aber nicht zu einer gesellschaftsverändernden fortschrittlichen Kraft entwickeln, wenn man nur Einzelkritiken übt. Dazu gehört auch die verbreitete Methode, nur Versatzstücke des wissenschaftlichen Sozialismus, z.B. die Kritik an der politischen Ökonomie des Kapitalismus in Marx Lesegruppen an Hochschulen aufzugreifen, gleichzeitig aber die eigentliche revolutionäre Essenz des dialektischen und historischen Materialismus von Karl Marx und Friedrich Engels für die sozialistische Gesellschaft außen vor zu lassen. Die Methode der „Versatzstücke“ bedeutet letztlich Begriffe des wissenschaftlichen Sozialismus in den Systemerhalt des Kapitalismus zu integrieren. Das ist Ausdruck des Opportunismus, einer trickreichen schädlichen Ideologie der Herrschenden mit großer Wirkung nicht nur in der Arbeiterbewegung, sondern v.a. auch unter kritischen Studierenden.

Auch dazu möchte ich auf ein Buch von Stefan Engel verweisen, welches das überzeugend nachweist: „Die Krise der bürgerlichen Ideologie – Die Krise des Opportunismus“, erschienen im Verlag Neuer Weg.

Ich meine, das sind alles wichtige Fragen für Studieren in Zeiten der Krisen und einen Aufbruch von Studierenden zu neuen Perspektiven, was das Motto dieses Ratschlags ist. Wir würden von der Offenen Akademie daher gerne in die Diskussion einbringen, wie an den Hochschulen eine Bewegung zur Kritik an den bürgerlichen Lehrinhalten gefördert werden kann, eine Bewegung des streitbaren Materialismus, die die antikommunistische Ausrichtung der bürgerlichen Lehrinhalte erschöpfend kritisiert.


Beitrag veröffentlicht

in