Gegen die Entwicklung der Proteste gegen den Krieg in Gaza auch an Hochschulen in Deutschland werden systematisch von bürgerlichen Parteien elementare bürgerlich-demokratische Rechte weiter eingeschränkt und eine diffamierende Meinungsmache gegen fortschrittliche Studierende betrieben. Den Aufschlag dafür machten Mitte Februar die Studierendenverbände Jüdische Studierendenunion Deutschlands (JSUD) und Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Sie beklagten einen „Extremismus“ an deutschen Universitäten und diffamierten Proteste gegen die Politik der ultrarechten Netanjahu-Regierung und Solidarität für Palästina als „Cancel-Culture“ und „anti-westlicher Propaganda“1. Kurze Zeit später hat der Berliner Senat eine Änderung des Hochschulgesetzes verabschiedet, die nun politische Exmatrikulation möglich macht. Die „freie Debattenkultur“, welche die beiden Verbände in ihren Statements forderten, rückte damit weiter in die Ferne. Sie gilt nur noch für alle die bedingungslos die Regierungspolitik Israels unterstützen und unterdrückt damit auch die demokratischen Rechte progressiver, antifaschistischer und antizionistischer Juden, wie z.B. der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden oder Jews for Peace. Derweil war es schon vorher an deutschen Hochschulen nicht erlaubt, dass politische Organisationen Infostände durchführen, ohne dass die Hochschulleitung diese genehmigen. Fortschrittlichen politischen Organisationen, die sich nicht nur hochschulpolitisch äußern, bleiben an deutschen Hochschulen Räume verwehrt. Der „Extremismus“ Begriff setzt das Eintreten für Freiheit und soziale Rechte und eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Umweltzerstörung von links jedoch gleich mit der Abschaffung von demokratischen Rechten, Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge von rechts. Die Parallelen zum Radikalenerlass von 1972 werden deutlicher.
Noch vor der Verabschiedung der Gesetzesänderung kritisierte der RefRat der Humboldt-Universität (gesetzlich AStA) in einer Stellungnahme, dass mit der Verschärfung des Ordnungsrechts der „notwendige Schutz jüdischer Studierender vor Antisemitismus“ als „Vorwand für das Durchsetzen repressiver und autoritärer Politiken“ missbraucht wird.2
An dieser Stelle soll ausdrücklich jede Form von Antisemitismus verurteilt werden. Jüdinnen und Juden dürfen weder basierend auf ihrem Glauben, noch anderer Motivation diskriminiert werden. Antisemitische Anschläge wie der in Halle 2019 dürfen sich nicht wiederholen. Der Anschlag der Hamas am 7.Oktober 2023 ist ebenso klar als ein Akt des Terrors einzustufen. „Wehrt den Anfängen“ heißt eine standfeste Haltung gegen jede Form des Rassismus und Faschismus zu beziehen, äußere er sich gegen Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Muslime und Muslima oder andere Personen. Genauso muss daher das systematische Aushungern der Bevölkerung, die systematische Bombardierung von Krankenhäusern, Universitäten und religiösen Stätten in Gaza, und die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung durch das Regime in Israel verurteilt und als Völkermord eingestuft werden. Kritik an Israels Regierung und ihrem imperialistischen Krieg ist kein Antisemitismus. Im Gegenteil, Kritik an Faschismus und imperialistischen Krieg ist auch heute noch ein Anliegen vieler Holocaust Überlebender und eine Verpflichtung aus den Verbrechen des deutschen Faschismus.
Am 8. Mai forderten JSUD, RCDS und der Bundesverband Liberaler Hochschulgruppen demagogisch ein Vorgehen der Universitätsleitungen gegen Proteste von Studierenden, weil sie angeblich „die Sicherheit jüdischer Studierender massiv gefährden“3. Schon am Vortag wurde die Freie Universität Berlin in den Belagerungszustand versetzt. In Reaktion auf ein friedliches Palästina-Protestcamp fuhr die Berliner Polizei in Kooperation mit der Universitätsleitung ein Großaufgebot auf, stoppte den Universitätsbetrieb, räumte das gesamte Universitätsgebäude und führte unter Anwendung brutaler Methoden zahlreiche Festnahmen durch. Bis heute sind ein Teil der Studierenden in Haft. Studierende, die an Kundgebungen gegen den Genozid in Gaza teilnehmen, werden unterdrückt und müssen sich um ihr demokratisches Recht auf Meinungsfreiheit sorgen. Dem ganzen setzte der Wissenschaftsminister von Niedersachsen, Falko Mohrs (SPD), am 9. Mai noch eins drauf: Nach ihm sollen Hochschulleitungen bei Fällen von Antisemitismus mehr Handlungsklarheit bekommen. Er lamentiert die bisherige Bindung von Exmatrikulationen an ein rechtskräftiges Urteil; „Wir müssen hier nachschärfen“, so der Minister.4 Soll damit einer willkürlichen politischen Hetzjagd und Rauschmiss von politisch missliebigen Studierenden unter Ausschluss selbst der bürgerlichen Justiz Tür und Tor geöffnet werden?.
Im kompletten Gegensatz zu Falko Mohrs steht das „Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten“, in dem es heißt: „Wir fordern die Berliner Universitätsleitungen auf, von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen. Der Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen Öffentlichkeit sollte oberste Priorität haben – beides ist mit Polizeieinsätzen auf dem Campus unvereinbar. Nur durch Auseinandersetzung und Debatte werden wir als Lehrende und Universitäten unserem Auftrag gerecht.“5 In dem fortschrittlichen Statement wird darauf bestanden, dass auch unabhängig von der Zustimmung zu konkreten Forderungen des Protestcamps in Berlin, das Recht der Studierenden auf friedlichen Protest verteidigt werden muss. Dies schließt explizit auch die Besetzung von Uni-Gelände mit ein, so das Statement der über 300 Lehrenden.
Was die Solidaritätscamps auszeichnet ist, wie sie aktiv alle Beteiligten in den Kampf um Forderungen, ihre Organisation und Versorgung, und den Schutz vor Repressionen mit einbeziehen. So werden die Camps Formen der Selbstorganisation frei von rückschrittlichen Hochschulleitungen. Die in Berlin aktive Hochschulgruppe „Waffen der Kritik“ fordert den Kampf um weitere Aktionsarten, wie etwa von Vollversammlungen fortzuführen. Vollversammlungen, welche durch den AStA einberufen werden können, zwingen Universitäten Räume für Studierende bereit zu stellen. Diese könnten zur weiteren Diskussion, dem Zusammentragen von Mitteln, oder Ausgangspunkt weiterer Hörsaalbesetzungen dienen.6
Nicht von ungefähr soll die politische Repression verschärft werden in einer Situation, in der sich weltweit mit den Massenprotesten gegen den Völkermord die fortschrittliche Studierendenbewegung belebt. Diese wird sich angesichts des nächsten Schritts des israelischen Militärs , der Invasion in Rafah, weiter an Fahrt gewinnen. Selbst UN-Experten sagen: „Eine weitere Vertreibung der Bevölkerung des Gazastreifens durch Evakuierungsbefehle oder Militäroperationen verstößt gegen verbindliche vorläufige Maßnahmen, die der Internationale Gerichtshof Israel auferlegt hat.“7 (bezieht sich auf die Maßnahmen verhängt Ende Januar, im Prozess zwischen Südafrika und Israel).
Wir sagen: Gegen Antisemitismus und jede andere Form des Rassismus! Kritik an Israels Regierung und ihrem imperialistischen Krieg ist kein Antisemitismus. Solidarität mit allen fortschrittlichen Bewegungen in Israel und Palästina! Gegen den Völkermord in Gaza! Für eine fortschrittlich-kritische Studierendenbewegung! Für freie Betätigung an Hochschulen auf anti-faschistischer Grundlage!
1 – https://www.cicero.de/innenpolitik/antisemitismus-an-deutschen-universitaten-erklarung-von-jsud-und-rcds-ort-der-anti-westlichen-radikalisierung- , zuletzt abgerufen am 10.05.2024, 18:00 Uhr
2 – https://www.wsws.org/de/articles/2024/03/22/iyss-m22.html, zuletzt abgerufen am 10.05.2024, 18:00 Uhr
3 – https://www.instagram.com/zdfheute/p/C6tPGNeuNvK/, ZDF Heute vom 8.5.2024, zuletzt abgerufen am 12.05.24
4 – https://www.rnd.de/politik/niedersachsens-wissenschaftsminister-hochschulen-sollen-bei-antisemitismus-leichter-exmatrikulieren-7GKJH32K7NPWLEHK6JLKPS2EFI.html, zuletzt abgerufen am 10.05.2024, 20:00 Uhr
5 – https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfVy2D5Xy_DMiaMx2TsE7YediR6qifxoLDP1zIjKzEl9t1LWw/viewform, zuletzt abgerufen am 10.05.2024, 18:00 Uhr
6 – https://www.klassegegenklasse.org/aufschwung-der-studierendenbewegung-vollversammlungen-und-verbindung-mit-den-beschaeftigten-jetzt/, zuletzt abgerufen am 10.05.2024, 22:00 Uhr
7 – https://www.ohchr.org/en/press-releases/2024/05/israels-rafah-invasion-must-stop-now-say-un-experts, eigene Übersetzung, zuletzt abgerufen am 10.05.2024, 18:00 Uhr